«Die Einreisesperre ist bloss eine Finte. Und wir fallen alle drauf rein»

Der nachfolgende Artikel stammt von Jake Fuentes, Head of New Products bei Capital One. Ich habe ihn auf medium.com gelesen und mit dem Einverständnis des Autors ins Deutsche übersetzt. Fuentes wirft meiner Meinung nach eine Reihe wichtiger Fragen auf, die ich in einem früheren Post nur gestreift habe. Hier also die Übersetzung.

Wenn ich lese, wie unglaublich aktiv die Trump-Administration in der ersten Woche war, dann bieten sich zwei Interpretationen an, was da wirklich passiert.

Die erste ist simpel: Die Administration tut genau das, was sie angekündigt hatte. Sie löst ihre Versprechen aus dem Wahlkampf ein. Damit sind viele Leute nicht einverstanden. Aber man bedient die Basis. Gleichzeitig ist die Trump Administration noch nicht wirklich gut bei dieser «Regierungs-Sache», deshalb verläuft alles sehr turbulent.

Die zweite Version ist düsterer: Die Trump Administration lotet aus, wieviel Spielraum sie im System der Checks & Balances hat. Um so zu mehr Macht zu kommen.

Es gibt gute Gründe für die einfache Interpretation: Eine ziemlich extreme und unerfahrene Administration hat das Rude übernommen und die Feinheiten des Regierens noch nicht verinnerlicht. Aber eine Reihe von Ereignissen aus den vergangenen 72 Stunden implizieren grössere Dimensionen: Etwa, dass das DHS (Departement of Homeland Security, das Ministerium für innere Sicherheit der Vereinigten Staaten) bundesrichterliche Anordnungen missachtet; oder die Art und Weise, wie Trump den NSC, den National Security Council umgebildet hat (der Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten; dieser ist ein beratendes Gremium, der vor allem in der Umsetzung der Aussenpolitik eine Rolle spielt). Wenn diese zweite Interpretation die zutreffende ist und wenn es bei diesen Aktionen wirklich darum geht, den Machtbereich der Administration Trump zu vergrössern, dann läuft es aus ihrer Sicht äusserst gut. Und das liegt daran, dass die meisten – einschliesslich derer, die mit ihren Protesten dafür gesorgt haben, dass mehrere Flughäfen den Betrieb einstellen mussten – der Administration genau in die Hände spielen.

Natürlich kenne ich die Absichten des neuen Präsidenten nicht. Aber nehmen wir einmal an, es geht im Moment tatsächlich darum, Macht zu akkumulieren. Nehmen wir kur an, wir seien die Trump Administration (nicht unbedingt Trump selbst, sondern sein „innerer Kreis“). Dann wäre das unser Drehbuch: 

  1. Wir erlassen eine Reihe von Anordnungen (Executive Orders) in der ersten Woche. Eine davon gestalten wir so, dass unsere politischen Gegner lauthals dagegen protestieren werden. Das wird die Berichterstattung dominieren. Einreisesperre. Perfekt.
  2. Wir machen unsere Anordnung ungefähr 20% extremer als das wir sie eigentlich wollen. Sagen wir, wir fällen ausdrücklich die Entscheidung, auch Greencard Inhaber an Einreisen in die USA zu hindern. Nicht nur jene, die ein Visum haben. Wir bleiben etwas vage in der Ausgestaltung, damit wir später zurückkrebsen können.
  3. Wir schauen zu, wie unsere Gegner auf die Strasse gehen, um gegen unsere extreme Massnahme zu demonstrieren. Genauso hatten wir es beabsichtigt. Diese Demos dominieren zwar die Berichterstattung, aber unsere Wählerbasis schaut sowieso nie CNN. Die ACLU (die American Civil Liberties Union; amerikanische Bürgerrechtsunion) wird Anträge stellen, die sich gegen die extremsten Teile unserer Verfügung richten. Auch das wird uns nützen. Es spielt für uns keine Rolle, dass wir gewinnen. Deshalb haben wir unsere Massnahme extremer gemacht als nötig. In einem Prozess sehen wir auf diese Weise, ob jene, die unsere Massnahmen durchsetzen müssen, uns gegenüber loyal sind.
  4. Während sich die Aufmerksamkeit des Landes auf unsere extreme Anordnung richtet, nehmen wir einige kleinere Änderungen vor: Zum Beispiel verändern wir die Zusammensetzung des National Security Council NSC (nationaler Sicherheitsrat, s. oben)., so dass dieser von unserem „inneren Kreis“ angeführt wird; oder wir sorgen dafür, dass das State Departement (Aussenministerium) nicht mehr fähig ist, sich unseren extremen Schachzügen zu widerstehen. Das wird langfristig weitere Vorteile haben. Der NSC – der Sicherheitsrat – ist jenes Gremium, das auch geheime Ermordungen von Staatsfeinden beschliesst. Auch von US-Bürgern. Niemand hat Zeit, diesen Schachzug zu analysieren. Und jene, die es tun, werden nicht gehört.
  5. Wenn die Klagen der ACLU (amerik. Bürgerrechtsunion) erfolgreich sind, bleiben wir ruhig. Wir befehlen nicht etwa dem Departement of Homeland Security DHS, dem richterlichen Urteil Folge zu leisten. Sondern wir warten ab, was die Leute im DHS von sich aus tun. Befolgen sie das Urteil, dann wissen wir, dass unser Einfluss auf das DHS begrenzt ist und dass wir dort mehr Leute positionieren müssen, die uns gegenüber loyal sind. Wenn sie aber unsere Anordnung weiterhin durchsetzen,
  6. Sobald das Departement für Homeland Security in Aktion getreten ist, machen wir die ganz extremen 20% unserer Anordnung, die wir eigentlich gar nicht wollten, wieder rückgängig. Wir lassen die Greencard-Inhaber wieder ins Land und stellen es so dar, als wäre das ursprünglich auch unsere Meinung gewesen. Die Demonstrierenden und die Bürgerrechs-Union ACLU nehmen das als Beweis für Ihre Wirkungskraft und erklären einen grossen Sieg. Die Versammlungen lösen sich auf, alle gehen wieder an die Arbeit.
  7. Nachdem sich die Aufregung gelegt hat, haben wir 100 Prozent jener Exekutive Order, die wir ursprünglich wollten, auch erreicht. Ausserdem haben wir die Loyalität einer Institution getestet, die wir später noch brauchen werden. Wir haben bewiesen, dass wir einen ganzen Zweig des Regierungsapparates ignorieren können. Und wir haben mehrere Änderungen vorgenommen, die uns alles bei einem nächsten Mal alles noch einfacher machen werden.

 Kurz: Wir haben das Land auf seine Bereitschaft getestet, vor einem faschistischen Regime zu kapitulieren.

 Angenommen, diese Interpretation treffe zu (noch einmal, ich kenne die Absichten der Trump Administration nicht), dann passt der „Widerstand“ genau in Trumps Drehbuch. Die lautstarken Politiker zeigten sich an den Veranstaltungen, immer ganz nah an den Nachrichtenschlagzeilen. Die Demonstranten haben genau getan, was sie sollten. Sie haben die Aufmerksamkeit der Berichterstattung auf ein relativ unwichtiges Puzzleteil gelenkt. Ich behaupte nicht, dass Greencard-Inhaber auf einem Flughafen festgehalten werden sollen. Auf keinen Fall. Ich sage nur, dass es möglicherweise einen grösseren Zusammenhang gibt. Die Einreisesperre ist bloss eine Ablenkung.

Für alle, die davon ausgehen, dass genau diese Interpretation zutrifft und sich dagegen stellen möchten: Was können sie tun?

Erstens: Hört auf zu denken, dass Demonstrieren alleine irgendetwas bewirken würde. Demonstrationen rütteln zwar auf und sind ein zeichen für einen starken Widerstand. Aber das genügt nicht. Demonstrationen sind nicht geeignet, die Politik zu verändern. Ausserdem geben sie den Demonstrierenden einen falschen Eindruck. Diese erhalten eine Menge Bestätigung, weil sie eben unter ihresgleichen sind und alle sich für die gleiche Sache einsetzen. Sie gehen nach Hause mit dem Gefühl, einen Beitrag dazu geleistet zu haben. Andererseits sind Protest ein gutes Ventil, um dem Ärger Luft zu verschaffen, auch wenn allfällige Zugeständnisse durch die Politik eher klein oder symbolischer Natur sind. Also: Protestiert. Aber seid Euch glaubt nicht, Ihr hättet damit Euren Job erledigt. So ist es nicht.

Zweitens: Bezahlt Journalisten dafür, dass sie herausfinden, was hinter der Finte steckt. Das ist ihr Job. Leistet Euch ein Abo oder eine Mitgliedschaft. Und geht aktiv auf Journalisten zu und bietet sie, tiefer zu graben und zum Beispiel die genauen Gründe für eine Reorganisation des NSC zu suchen. Die mediale Aufmerksamkeit darf sich nicht auf simple Geschichten wie die Einreisesperre konzentrieren. Die echte Story ist viel differenzierter und langweiliger. So lange, bis sie es eben nicht mehr ist.

Drittens: Die öffentliche Aufmerksamkeit sollte sich weniger darauf konzentrieren, ob wir einverstanden sind damit, was die Regierung tut. Sondern darauf, ob unser System von Checks and Balances (eine Umschreibung der Gewaltentrennung, resp. Bezeichnung für die gegenseitige Kontrolle der einzelnen Verfassungsorgane eines Staates) auch wirklich funktioniert. Es ist das weitaus grössere Ding, dass das DHS das Gefühl hatte, es könne ein Gerichtsurteil ignorieren als dass Trump eine Executive Order unterzeichnet hat, die Greencard-Inhaber an der Einreise hindert. Es ist das weitaus grössere Ding dass Trump das Militär vom National Security Council ausschliesst als dass er vorübergehende Einreisesperren erlässt. Die Einreisesperre mag der grössere Aufreger sein. Aber andere Schachzüge sind möglicherweise viel gefährlicher.

Noch einmal, ich hoffe sehr, dass nichts in dieser Interpretation wirklich zutrifft und dass wir es mit einer Administration zu tun haben, die gute Absichten verfolgt, und die bei der Ausführung einfach auf Probleme stösst. Ich hoffe und bete dafür, dass die Strukturen unserer Demokratie auch die ausgeklügeltsten Angriffe überstehen. Ich hoffe. dass das Gute gewinnt. Aber jeder neue Hinweis zeigt in eine andere Richtung.

 

Erschienen auf medium.com am 31. Januar 2017.