Das „hetzerische“ Spiegel-Titelbild, oder: so funktioniert rechte Demagogie im Web

Das Vermischen von Meinungen mit Halbwahrheiten und Falschbehauptungen ist ein gängiges Mittel, um die eigene Sichtweise zu legitimieren. Die Analyse eines solchen Videos zeigt, wie versucht wird, seriöse Medien als Lügenpresse zu diffamieren.

Durch Zufall bin ich heute über eine Wutrede gestolpert. In einem Youtube-Video echauffiert sich der Macher über das Titelbild des Spiegels (Donald Trump hat dort der Freiheitsstatue den Kopf abgeschlagen, hält diesen Kopf in die Höhe, Blut tropft herunter). Wer es sehen will, soll auf Youtube nach „Hetzblatt Spiegel“ suchen. Mir ist meine Seite zu schade, um das zu embedden.

Im Kern verstehe ich den Ärger über das Titelbild. Für meine Begriffe geht es sehr weit. In der „Beweisführung“ allerdings werden mehrfach falsche Tatsachen behauptet. Zum Teil sind sie offensichtlich falsch. Zum Teil braucht es etwas Wissen oder Recherche, um sie zu entlarven.

So wird behauptet, die Welt solle sich nicht über Trumps Executive Order (a.k.a. Immigration Ban) aufregen, denn Barack Obama habe das mit den Executive Orders schliesslich eingeführt.

Leider nein. Wäre ja auch zu schön gewesen, oder? Obama hat die Executive Orders nicht eingeführt. Executive Orders werden in den USA seit 1789 erlassen. Sie haben also eine lange Tradition. Allerdings sind sie nicht in der Verfassung vorgesehen. Sie haben sich aus Gewohnheitsrecht ergeben (was auch immer wieder diskutiert wird). Die bis jetzt berühmteste EO war jene von George W. Bush, EO 13224, die das Vorgehen der USA gegen Terrororganisationen nach 9/11 regelt. Bis heute wurden allerdings erst 2 Executive Orders durch Gerichte ausser Kraft gesetzt (1942, EO von Franklin D. Roosevelt; 1996, EO von Bill Clinton).

Weiter werden während dieser Wutrede Videoausschnitte von Unruhen in Berkeley gezeigt. Sie werden als Krawalle einer Antifa-ähnlichen Gruppierung deklariert. Ausserdem wird Behauptet, es habe erschreckenderweise keine Polizeipräsenz gegeben. Bei den Ausschnitten handelt es sich um Studentenproteste vom 1./2. Februar 2017. Diese richteten sich gegen einen Auftritt eines Breitbart-Autors an der Universität. Die Proteste sind eskaliert (das kann man durchaus verurteilen). Wer sich längere Sequenzen dieser Videos ansieht, merkt schnell, dass es sehr wohl Polizeipräsenz gab. Die Polizei hat sogar Unigebäude besetzt. Die Behauptung, es hätte in Berkeley keine Polizeipräsenz gegeben, ist falsch.

Das alles macht die Beweisführung gegen den Spiegel, ziemlich wertlos. Und das Video zu reiner Propagande. Die aber doch viele Userinnen und User ernst nehmen, weil es ihre Sichtweise (Spiegel=schlecht) bestätigt.

Ich habe in den letzten Tagen eine Reihe von Titebildern aus der Mainstream-Presse gesehen, die ich nicht goutiere (ein irisches Magazin zeigt das Fadenkreuz eines Zielfernrohrs auf dem Kopf von Donald Trump und stellt die Frage: „Why not“?). Doch unter dem Strich gilt im Fall Spiegel für mich: So geschmacklos die Titelseite sein mag. Die Schlussfolgerung halte ich für korrekt.

Trump hat bisher unter anderem:
1) versucht, die Pressefreiheit zu unterminieren
2) er hat gegen die in der Verfassung verankerte Glaubens- und Religionsfreiheit verstossen
3) signalisiert, dass er die Gewaltenteilung, resp. Gerichtsurteile nicht respektiert und hat mehrfach ordentlich eingesetzte Richter desavouiert.

Damit greift er zentrale Elemente der amerikanischen Demokratie an. Einer Demokratie, die sich in ihrer Nationalhymne bekanntlich auch als „Land of the free“ bezeichnet.

Philippe Chappuis, lic. iur. & Journalist