Alle malen Halls, keiner ist mehr Strasse

Fast bei jeder aufwändigen Reportage — zumindest in den elektronischen Medien— gibt es eine ganze Fülle von Facts, Eindrücken, Nebengeschichte, die man am Ende nicht unterbringt. Weil es nicht zum Hauptthema gehört, ablenkt oder verwirrend ist. Und je tiefer man in das Thema eingetaucht ist, umso grösser wird die Menge an Nebenprodukten und -erkenntnissen. Wie zum Beispiel bei der Basler Sprayer-Szene.

Was habe ich gebohrt und gesucht, um einen Sprayer oder Ex-Sprayer zu finden, der vor die Kamera steht und aus dem Nähkästchen plaudert. Es war eine zähe Angelegenheit. Ich hatte ein paar an der Angel, am Ende sprangen sie wieder ab (mit einer Ausnahme). Das ist kein Wunder. Denn Graffiti, zumindest nach dem ursprünglichen Verständnis, ist immer illegal. Und der Sprayer lebt deshalb von seiner Anonymität. Er ist ein Pseudonym, gehört vielleicht einer Crew an. Aber das war’s dann auch schon mit der Identifikation nach aussen.

Neue Dynamik in einer alten Diskussion

Umso spannender ist der Ansatz, den der Kanton Basel-Stadt verfolgt, um «Verzierungen» der schönen und weniger schönen Art an den Wänden zu managen. Ausmerzen kann man dieses Phänomen nicht. Das ist auch nicht die Absicht von Basel-Stadt. Vielmehr praktiziert die Stadtreinigung einen Mix aus: Graffiti wegmachen, Wände freigeben, Projekte unterstützen (und die Wände anschliessend versiegeln).

Mit dieser Praxis heizt der Kanton ein altes Dilemma neu an: Wie stark darf sich diese Kunstform wandeln? Ist es ok, als Sprayer bezahlte Aufträge zu machen? Werden die Sprayer gegeneinander ausgespielt?

Was nach bezahlter Auftragsarbeit aussieht, wird im Moment gerne verschandelt. Off the record erzählen mir Sprayer, dass es das früher auch schon gab. Man wird «gecrossed», vor allem wenn es darum ging, das eigene Graffiti-Territorium zu markieren. Doch wer eine solche Terror-Line malt, hinterliess früher auch sein Pseudonym, damit man wusste, mit wem man es eigentlich zu tun hatte.

Terror-Linien

Heute hat sich die Gangart aber deutlich verschärft. Dass die «Streetart»-Meile an der Schwarzwaldbrücke mit einer Terror-Line sabotiert wurde, mag man noch halbwegs verstehen. Denn dieses Projekt wurde wenigstens teilweise finanziell vom Kanton unterstützt und anschliessend versiegelt (Versiegeln ist verhasst in der Szene, weil es dem Wandbild/Graffiti/Streetart jeglichen temporären Charakter nimmt).

Basilisk und Basler Skyline, ein Wandbild direkt beim Sommercasino, Anfang Oktober 2020

Dass aber Auftragsarbeiten wie ein Basilisk die Skyline von Basel vis-à-vis vom Sommercasino nur 2 Tage nach der Fertigstellung mit einer silbernen und einer violetten Terror-Line «versehen» wurde, ist eine neue Dimension. Der Maler/Sprayer des Bildes ist notabene einer der ersten Stunde in dieser Region. Er wird das Bild noch einmal malen. Und dann wird die Sache versiegelt. Ende der Diskussion.

Einige Wochen später wurde das Bild «repariert».

Wer regelmässig an der Line spazieren geht wird feststellen, dass dort immer noch laufend neue Sachen entstehen. Die Szene ist lebendiger denn je. Aber auch heterogener. «Die Sprayer-Szene» an sich gibt es eigentlich gar nicht. Da sind die klassischen Sprayer mit einem konservativen Graffiti-Verständnis, da gibt es eine FCB-Sprayer Szene, die vor allem das Gebiet um das Stadion herum gestaltet (aber auch weit darüber hinaus). Und dann gibt es vermutlich noch Sprayer, die von einer Art linksautonomem Gedankengut geleitet sind und die Graffiti als Werkzeug zur Aufwertung und Gentrifizierung der Stadt sehen. Und das wird natürlich torpediert.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Als reiner Betrachter von Wandbildern/Graffiti/Streetart vermute ich, dass diese Kunstform — wie so viele andere Kunstformen auch in der Geschichte — die Schwelle zum Mainstream überschritten hat. Genau so wie beim Jazz, beim Hiphop, bei der Malerei und in der Literatur. Aber eben: nicht jeder, der komponiert ist ein musikalisches Genie. Nicht jeder, der schreibt, ist ein Schriftsteller. Und nicht jeder der Schreibt, ist ein Künstler.